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#141 Gott und abstrakte Objekt

September 20, 2016
Q

Sehr geehrter Prof. Craig,

Ihre Erörterung über das Für und Wider der Existenz abstrakter Objekte gehört für mich zu dem Hilfreichsten und Klarsten, was ich dazu gelesen habe. Dennoch habe ich einige Fragen und wäre sehr dankbar für Ihre Hilfe.

Zuerst: Über den Einzigartigkeitseinwand gegen den Platonismus schreiben Sie in Creation out of Nothing (171,4,11-12): „Aber wenn der Platonismus wahr ist, gibt es eine einzige Sequenz abstrakter Objekte, welche die natürlichen Zahlen sind.“ Aber warum sollte das so sein? Es gibt viele Dinge, die man in einer Reihenfolge als erstes, zweites, usw. anordnen kann. Man kann Pferde nach dem Gewicht, Menschen nach dem Einkommen, Soldaten nach dem Rang, usw. ordnen. Jeder solche Rang konkreter Objekte hätte eine abstrakte platonische Form. Obwohl jede dieser Formen in Bezug auf das Objekt einzigartig wäre, würde keine von ihnen in Bezug auf ihre Ordnungsstruktur einzigartig sein, weil sie genauso als erstes, zweites usw. eingestuft sind. Platon hätte diese Situation vermutlich als eine Hierarchie der Formen verstanden, wobei die Formen der konkreten Objekte unter der Einzelform der Ordnungsstruktur subsumiert würden. Ich vermute, dass Sie mein Argument für die Nicht-Einzigkeit der Ordnungsstruktur der natürlichen Zahlen zurückweisen würden, indem Sie argumentieren, dass die höchste Form in dieser Hierarchie die einzigartige Sequenz abstrakter Objekte ist, welche die natürlichen Zahlen sind. Habe ich Recht? Ich würde im Sinne Platons entgegnen, dass die höchste Form der natürlichen Zahlen nicht einzigartig ist, weil sie an den niedrigeren Formen teilhat. Ich sehe also nicht, dass der Platonismus zwingend davon ausgehen muss, dass die Sequenz abstrakter Objekte, welche die natürlichen Zahlen darstellen, einzigartig ist.

Zweitens schreiben Sie ebenfalls in Bezug auf den Einzigartigkeitseinwand gegen den Platonismus in Creation out of Nothing (171,4-5): „Die inneren Eigenschaften von Zahlen sind für die Mathematik irrelevant; es kommt nur auf ihre relationalen Eigenschaften an, die in dieser Ordnungsstruktur wurzeln. “ Doch wenn ich mich nicht irre, dann gehören zu den inneren Eigenschaften von Zahlen solche Eigenschaften wie: „ist teilbar durch“ und „ist größer als“. Zu den äußeren Eigenschaften von Zahlen gehören Eigenschaften wie: „eine Zahl interessiert mich“ oder „ich denke über eine Zahl nach“. Da zu den inneren Eigenschaften die Eigenschaft „ist größer als“ gehört, folgt aus dieser inneren Eigenschaft die Sequenz abstrakter Objekte, welche die natürlichen Zahlen sind. Würde das Ihr Argument der Einzigkeit beeinflussen?

In Creation out of Nothing (S. 173) argumentieren Sie, dass der Platonismus verworfen werden muss, weil er „unendliche Bereiche des Seins postuliert, die metaphysisch notwendig und nicht von Gott geschaffen sind.“ Aber auf Ihrer Webseite schreiben Sie in der Antwort auf Frage 94[1] über die Klassifizierung immaterieller Objekte: „Was ich seit der Abfassung dieses Kapitels erkannt habe, ist – noch schockierender – dass einige abstrakte Objekte, wenn sie existieren, nicht nur in Zeit und Raum existieren, sondern dass sie auch kontingent existieren!“ Ist es richtig, wenn ich daraus den Schluss ziehe, dass trotz der kontingenten Existenz[2] einiger abstrakter Objekte immer noch die notwendige Existenz anderer abstrakter Objekte als theologischer Grund für die Verwerfung des Platonismus ausreicht?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Jitse van der Meer

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Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

Danke, Jitse! (Sind Sie mit dem gleichnamigen Wissenschaftsphilosophen verwandt?) Ich nehme an, Sie beziehen sich auf mein Kapitel „Creatio ex Nihiloand Abstract Objects“ in dem von mir und Paul Copan verfassten Buch Creation out of Nothing (Baker, 2004). Für Leser, die mit dieser Diskussion nicht vertraut sind, lassen Sie mich kurz zum Hintergrund sagen, dass die als Platonismus bekannte Denkschule die Auffassung vertritt, dass es zusätzlich zu konkreten Objekten (Menschen, Tische, Steine, Elektronen etc.), welche Dinge sind, die in einer Beziehung von Ursache und Wirkung stehen können, auch abstrakte Objekte gibt, oder Dinge, die nicht in solchen Beziehungen stehen können, wie Zahlen, Mengen, Propositionen und Eigenschaften. Wie ich in meinem Kapitel erkläre, gibt es zwei typische Einwände gegen den Platonismus: (i) den epistemologischen Einwand, der besagt, dass die Kenntnis mathematischer Objekte angesichts ihrer kausalen Isolation im Platonismus unmöglich sein sollte, was uns jeglichen mathematischen Wissens berauben würde; und (ii) den Einwand der Einzigkeit, der besagt, dass buchstäblich alles die Rolle eines mathematischen Objekts erfüllen kann, solange es in den richtigen Beziehungen zu anderen Objekten steht, da dies alles ist, was für mathematische Wahrheit notwendig ist.

Doch wie ich deutlich gemacht habe, ist keiner dieser Einwände mein Grund für die Verneinung der Existenz abstrakter Objekte. Mein Vorbehalt ist vielmehr ein theologischer: Der Platonismus widerspricht Gottes Aseität (Selbstexistenz) und untergräbt die Lehre der creatio ex nihilo, indem er Wesen postuliert, die selbstexistent und nicht von Gott geschaffen sind. Er setzt eine Art metaphysischen Pluralismus voraus, demzufolge Gott nicht der Seinsgrund für alles außer Ihm selbst ist.

Nun fragen Sie in Ihrer Antwort auf den Einzigartigkeitseinwand, warum der Platoniker der Auffassung verpflichtet sein sollte, dass es eine einzige Sequenz abstrakter Objekte gibt, welche die natürlichen Zahlen sind. Sie stellen richtig fest, dass selbst eine Menge konkreter Objekte in den strukturellen Beziehungen stehen kann, in denen die natürlichen Zahlen stehen. (Das ist das sogenannte „Cäsar-Problem“, das Gottlob Frege im 19. Jahrhundert nannte: Warum könnte Julius Cäsar nicht eine natürliche Zahl sein?) Das ist genau der Punkt beim Einwand der Einzigartigkeit. Ihr Vorschlag, dieses Problem zu umgehen, ist als Strukturalismus bekannt, die Auffassung, dass es eigentlich nicht nur eine einzige Reihe von Objekten gibt, welche Zahlen sind; Zahlen sind vielmehr einfach die Plätze in der Ordnungsstruktur, in die beliebige Objekte eingefügt werden können. Es gibt also tatsächlich kein Objekt, welches zum Beispiel die Zahl 3 ist; es gibt vielmehr nur den dritten Platz in dieser Struktur, der durch jedes Objekt ausgefüllt werden kann. Strukturalisten wählen also einen neuartigen und, wie ich denke, attraktiven Ansatz in der Frage, was mathematische Größen sind.

Die ursprüngliche Frage stellt sich dann wieder neu im Blick auf diese Strukturen: Sind sie nur nützliche Fiktionen oder existieren sie wirklich? Strukturalisten, die auch Platoniker sind, nennt man ante rem-Strukturalisten, wobei „ante rem“ besagt, dass die abstrakte Struktur ontologisch vor irgendeiner konkreten Sequenz von Objekten existiert; die konkreten Objekte sind eine Instanziierung dieser Struktur.

Mein theologischer Vorbehalt bleibt beim ante rem-Strukturalismus ungelöst. Denn diese Strukturen scheinen eine Existenz zu haben, die von Gott unabhängig ist. Die Lösung des Einzigartigkeitseinwandes, die der ante rem-Strukturalist vorschlägt, trägt also nichts dazu bei, meinen Einwand gegen den Platonismus zu entschärfen.

Meine Antwort auf Ihren Vorschlag wäre also nicht der Einwand, den Sie vermuten. Mein Einwand wäre vielmehr derselbe wie zuvor: Die Existenz von Strukturen, die nicht von Gott geschaffen wurden, widerspricht der göttlichen Aseität und der creatio ex nihilo. (Übrigens, was heute als Platonismus gilt, sollte nicht mit dem gleichgesetzt werden, was Platon selbst tatsächlich glaubte. Für Platon scheinen die Formen überhaupt nicht kausal machtlos zu sein, sondern sie machen die Welt zu dem, was sie ist. Die Debatte über sogenannte abstrakte Objekte ist eigentlich eine eher neue Entwicklung der zeitgenössischen Philosophie, die erst Ende des 19. Jahrhunderts aufkam.)

Ihr zweiter Punkt fasst bestimmte Eigenschaften irrtümlich als intrinsisch statt als relational auf. Eigenschaften wie teilbar sein durch oder größer sein als sind genau die Art von relationalen Eigenschaften, um die es beim Einwand der Einzigkeit geht. Alles, was man für Mathematik braucht, sind diese Art von relationalen Eigenschaften zwischen Objekten; intrinsische Eigenschaften spielen keine Rolle. Das ist genau die Einsicht, die sich der Strukturalist zu Nutze macht, wenn er erklärt, dass mathematische Objekte nur die Positionen in irgendeiner Struktur sind, unabhängig davon, was – wenn überhaupt etwas – diese Positionen einnimmt.

Meine Arbeit über abstrakte Objekte und göttliche Aseität ist eine fortschreitende, und wie Sie angemerkt haben, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass im Gegensatz zur gängigen Auffassung nicht alle abstrakten Objekte, wenn sie existieren, notwendig existieren, so wie Zahlen und Eigenschaften es tun. Einige abstrakte Objekte, wenn sie existieren, existieren kontingent. Sie könnten somit von Gott erschaffen worden sein, wie es sogenannte absolute Kreationisten behaupten[3]. Man kann zum Beispiel sagen, dass Gott, indem er die Erde erschuf, auch der Schöpfer des abstrakten Objekts ist, welches der Äquator der Erde ist. Gottes Aseität und creatio ex nihilo bleiben damit erhalten. Natürlich bleibt, wie Sie bemerken, das Problem solcher abstrakten Objekte bestehen, die, wenn sie überhaupt existieren, notwendig existieren.

Doch noch schlimmer ist, dass es, wie mir klar wurde, eine Art Element zu geben scheint, das wir als unerschaffbar bezeichnen könnten. Das ist eine Art von Element, auf welches ich in meinem oben erwähnten Kapitel Bezug nahm, als ich gegen den absoluten Kreationismus bezüglich abstrakter Objekte den Münchhausen-Einwand (nämlich dass man sich nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann) oder den Zirkelschluss-Einwand vorgebracht habe. Unerschaffbare Dinge sind solche, die nicht von Gott erschaffen werden können, weil sie, um erschaffen zu werden, bereits existieren müssen. Nehmen wir zum Beispiel die Eigenschaft mächtig sein. Diese Eigenschaft kann nicht von Gott erschaffen worden sein, denn um diese Eigenschaft zu erschaffen, muss Gott diese Eigenschaft bereits besitzen! Um die Eigenschaft mächtig sein zu erschaffen, muss Gott bereits mächtig sein. Der absolute Kreationist steckt somit in einem Zirkelschluss fest.

Was ist also zu tun? Ein Befürworter einer christlich-platonischen Position kann nicht widerspruchsfrei sagen, dass Gott mächtig sein kann, ohne die Eigenschaft mächtig sein zu besitzen, denn dann nimmt er die nominalistische Position ein[4], die besagt, dass Eigenschaften unzulässige Vergegenständlichungen grammatischer nominativer Ausdrücke sind (wie die Subjekte, direkten Objekte, Präpositionalphrasen, usw. von Sätzen). Wenn Gott mächtig sein kann, ohne die Eigenschaft mächtig sein zu besitzen, wozu sind Eigenschaften dann überhaupt nötig? Warum kann ein Hund nicht braun sein, ohne die Eigenschaft braun sein zu besitzen? Von Eigenschaften zu sprechen scheint nur eine nützliche und einfache Formulierungsweise zu sein, aber es ist schlechte Metaphysik, solche Aussagen zu vergegenständlichen, indem man unnötigerweise abstrakte Objekte postuliert, welche die Eigenschaften von Dingen sind.

Diese Schwierigkeit unerschaffbarer Elemente scheint mir der eigentliche Kern desjenigen Problems zu sein, das sich aus der Existenz abstrakter Objekte ergibt. Die Bibel bekräftigt, dass Gott durch Sein Wort der Schöpfer alles Existierenden außer sich selbst ist (Johannes 1,1-3), eine Erklärung, die in dem Glaubenssatz des Nizäanischen Glaubensbekenntnisses, dass Gott der „Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren“ ist, den Status eines Credo erlangt hat. Deshalb kann ich den Platonismus nicht mit dem Christentum vereinbaren.

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/god-and-abstract-objects

Anmerkungen

[1] Deutsche Übersetzung: http://www.reasonablefaith.org/german/qa94

[2] Kontingente Existenz heißt: etwas könnte auch nicht existieren. Notwendige Existenz einer Sache bedeutet, dass sie in jeder möglichen Welt existiert. (Anm. d. Übers.)

[3] Ein "absoluter Kreationist" im Hinblick auf abstrakte Objekte sagt, dass Gott alles erschaffen hat, inklusive aller abstrakten Objekte. (Anm. d. Übers.)

[4] Platonismus ("es gibt tatsächliche abstrakte Objekte") und Nominalismus ("abstrakte Objekte existieren nur im Denken von denkenden Wesen") sind im Hinblick auf die Existenz abstrakter Objekte gegensätzliche Positionen. (Anm. d. Übers.)

- William Lane Craig