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#371 Was ist der Mensch schon?

July 12, 2016
Q

Hallo Herr Prof. Craig,

ich bin ein Christ aus Kanada und sehe mir gerne Ihre Debatten auf YouTube an. Sie sind ein Vorbild und jemand, von dem man etwas lernen kann. Danke!

Ich schreibe Ihnen, weil ich ein paar Fragen habe, die wirklich eine harte Nuss für meinen Glauben sind, und bin dankbar für jede Hilfe. Aber erst möchte ich Ihnen zeigen, durch was für eine Brille ich meine Fragen stelle, damit Sie besser verstehen, wie ich ticke.

Wenn ich mich mit Gott vergleiche, habe ich das Gefühl, total bedeutungslos zu sein. Auch wenn er mich liebt und zu seinem Bilde erschaffen hat und seinen einzigen Sohn gesandt hat, um für mich zu sterben – im Vergleich zu ihm komme ich mir völlig unwichtig vor.

Ich habe auch den Eindruck, dass der allmächtige und allwissende Gott, der von Ewigkeit her existiert, beliebig viele Universen vor unserem geschaffen haben kann – und beliebig viele, die parallel zu unserem existieren, und dies verstärkt dieses Gefühl, nichts zu sein, noch mehr, ja es macht mir Angst und lässt mich Zweifel bekommen.

Ich bekomme Angst und Zweifel, ob Gott mich bzw. uns liebt, wenn ich mir vorstelle, was für ein Nichts ich eigentlich bin. Im Vergleich zu Gott und zur Ewigkeit bin ich doch noch weniger als ein Staubkorn. Doch, ich bin Christ, aber ein Teil von mir hat einfach den Eindruck, dass es total vermessen ist, zu glauben, dass Gott, der ewige Schöpfer des Kosmos, mich bzw. uns liebt.

Das also ist meine „Brille“. Und jetzt meine Fragen:

1. Liebt Gott uns? Wenn ja, warum? Wir sind doch so bedeutungslos und jederzeit ersetzbar!

2. Sind wir auf irgendeine Weise wichtig, und wie soll das möglich sein?

3. Werden wir Gott je wahrhaftig begreifen können? Können wir darauf hoffen, ihn je echt zu erkennen oder zu verstehen?

4. Ist es falsch oder böse von mir, wenn ich mich schwer tue mit dem Gedanken, für immer unwichtig zu sein, nie Gewissheit haben zu können, nie wirklich frei sein zu können und ein Wesen anzubeten, das ich nicht wirklich kenne und begreife, ja das ich nie wirklich kennen und begreifen werde? Bin ich der Einzige, der sich so fühlt?

Entschuldigen Sie bitte, wenn meine Fragen so negativ sind. Bestimmt können Sie verstehen, warum es für mich so wichtig ist, hier Antworten zu finden. Wenn Sie mir vielleicht ein Buch oder so nennen könnten, das mir hier weiterhelfen kann, wäre ich doppelt dankbar.

Danke, und Gott segne Sie. Mit herzlichen Grüßen,

Ryan

  • Canada

Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

Ryan, ich habe den Eindruck, dass Ihr Kampf in erster Linie ein psychologischer oder emotionaler ist und nicht ein intellektueller, denn Ihre Frage enthält bereits den Keim für ihre Beantwortung. Sie verraten sich, wenn Sie schreiben, dass Sie das Gefühl haben, im Vergleich zu Gott total bedeutungslos zu sein.

Das Gefühl, persönlich ein Nichts zu sein, passt gut zur Philosophie des Naturalismus, denn die menschliche Spezies ist in der Tat ein bloßes Staubkörnchen in einem unvorstellbar großen und unpersönlichen Kosmos. Doch zum christlichen Theismus passen solche Gefühle überhaupt nicht. Ihr Satz „Auch wenn er mich liebt und zu seinem Bilde erschaffen hat und seinen einzigen Sohn gesandt hat, um für mich zu sterben – im Vergleich zu ihm komme ich mir völlig unwichtig vor“ stimmt einfach vorne und hinten nicht, denn dadurch, dass Sie nach Gottes Bild erschaffen sind und jemand sind, für den Christus sein Leben hingab, hat Ihr Leben eine ewige Bedeutung, und mag es rein physisch noch so klein sein. Ihre Bedeutung bemisst sich nicht nach Ihrer physischen Größe, sondern nach Ihrem inneren Wert; im christlichen Theismus ist ein einziger Mensch wertvoller als das gesamte materielle Universum zusammengenommen.

Es stimmt: Im Vergleich zu Gott sind wir schwache, unwissende, unvollkommene Geschöpfe. Aber das macht uns nicht bedeutungslos, denn wir sind immer noch Personen, so wie Gott eine Person ist, und dazu erschaffen, für immer eine persönliche Beziehung zu Gott zu haben. Und wir sind weiter Personen, die Gott so sehr liebt, dass er sich in unser schwaches, vom Sündenfall geprägtes Menschsein hinein begab, um uns zu erlösen und wieder in die richtige Beziehung zu ihm einzusetzen. Wie kann ein Mensch diese Wahrheiten glauben und sich gleichzeitig für unwichtig halten?

Ich möchte Ihre vier Fragen also so beantworten:

1. Liebt Gott uns? Ja, und dies so sehr, dass wir das gar nicht ermessen können! Und warum? Weil er uns zu seinem eigenen Bild erschaffen hat, als Wesen, die eine persönliche Beziehung zu ihm haben können. Wir sind nicht beliebig ersetzbar; Sie und mich gibt es nur ein einziges Mal! Natürlich hätte Gott theoretisch stattdessen beliebig viele andere Personen erschaffen können, aber er wollte Sie erschaffen und Sie, als Adoptionskind Gottes, in die ewige innertrinitarische Liebesbeziehung zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist einladen. Und das soll nichts sein?

2. Sind wir auf irgendeine Weise wichtig? Natürlich – falls denn der christliche Glaube stimmt. Und wie soll das möglich sein? Dadurch, dass die Frage, wie wichtig jemand ist, nicht an seiner physischen Größe, sondern an seinem inneren Wert hängt. Sie sind in sich und objektiv von unschätzbarem Wert, weil Sie zu Gottes Ebenbild erschaffen und von ihm geliebt sind.

3. Werden wir Gott je wahrhaftig begreifen können? Das hängt davon ab, was Sie mit „begreifen“ meinen! Wir werden Gott nie voll und ganz begreifen können, da er unendlich ist, aber doch: Wir können ihn „wahrhaftig“ begreifen, denn es gibt Wahrheiten über ihn, die wir bereits mit unserem Verstand begreifen können, und andere, die er uns geoffenbart hat. Wir wissen z.B., dass Gott allmächtig ist, allwissend, allgegenwärtig, ewig, körperlos, aus sich selbst existierend usw. und dass er eine Dreieinigkeit ist. Können wir darauf hoffen, ihn je echt zu erkennen oder zu verstehen? Natürlich, denn dies ist sein Wille und Wunsch für uns. Ja mehr noch: Wir können Gott nicht nur in dem Sinne erkennen, dass wir die richtigen Informationen über ihn haben, sondern auch in dem intimeren Sinne, dass wir ihn persönlich kennenlernen. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich Kenntnisse über Gott habe oder ob ich ihn persönlich kenne. Gott möchte, dass wir beides erfahren. Fall Sie, Ryan, Gott noch nie auf diese persönliche Weise kennen gelernt haben, möchte ich Ihnen Mut machen, sich einem Christen anzuvertrauen, der Gott so kennt und der Ihnen erklären kann, wie man zu solch einer Beziehung kommt.

4. Ist es falsch oder böse von mir, wenn ich mich schwer tue mit dem Gedanken, für immer unwichtig zu sein, nie Gewissheit haben zu können, nie wirklich frei sein zu können und ein Wesen anzubeten, das ich nicht wirklich kenne und begreife, ja das ich nie wirklich kennen und begreifen werde? Dies scheint mir eine typische Fangfrage zu sein, so ähnlich wie die Frage: Haben Sie schon aufgehört, Ihre Frau zu schlagen? Es ist schlicht falsch, dass Gott ein Wesen ist, das ich niemals wirklich kennen oder verstehen werde. Und Sie sollten sich in der Tat schwer tun mit dem Gedanken, für immer unwichtig zu sein, nie Gewissheit haben zu können und nie wirklich frei sein zu können, denn dies sind alles Lügen, die einer naturalistischen Weltsicht entspringen, die Sie verwerfen sollten. Der Fehler liegt darin, dass Sie sich von diesen Gefühlen der Unwichtigkeit, der Ungewissheit und der Unfreiheit, die Sie plagen, gefangen nehmen lassen. Diese Gefühle haben keinerlei Basis oder Rechtfertigung in der Realität und sind daher Lügen, zu denen Sie „Nein“ sagen müssen.

Ein hilfreiches Buch für Sie könnte das Folgende sein: George M. Weaver, The Significant Life: Overcoming Your Fear of Being Unnoticed and Forgotten (Crosslink, 2014). Weaver ist Rechtsanwalt und gehört zu unserer Defenders-Gruppe.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/human-insignificance

- William Lane Craig