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#216 Muss alles, das zu existieren beginnt, eine materielle Ursache haben?

July 12, 2016
Q

Nach Ihrer Widerlegung eines anderen hoffnungslosen Einwandes neulich behauptete der Autor von TheoreticalBs auf YouTube, dass Sie sein Argument aus dem Zusammenhang genommen und dies bei vielen Ihrer Kritiker in der Vergangenheit so getan hätten. Meine Frage ist, glauben Sie, dass TBS´ Aussage einen Wahrheitsgehalt besitzt, und planen Sie, sein ganzes Argument in seiner Vollständigkeit zu widerlegen? (Dies ist als eine legitime Frage gemeint, denn ich bin darauf gespannt, Ihre volle Antwort zu hören und hoffe auf einen fortgesetzten Austausch von Ihnen beiden).

Daniel

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Dr. Craig

Dr. craig’s response


A [

Nach der Anzahl von Fragen zu urteilen, die diese Woche über diesen Austausch eingingen, sollte Reasonable Faith sich vielleicht von TBS Marketing-Ratschläge holen!

Die Geschichte hinter dieser Kontroverse ist, dass vor ein paar Wochen eine Frage der Woche eintraf, in der ich gefragt wurde, was ich von dem folgenden Argument hielte:

Das Kalam-Argument GEGEN die Existenz Gottes:

P1: Nichts, das existiert, kann etwas anderes, das noch nicht existiert, veranlassen zu existieren.
P2: Angesichts (1) gilt: Alles, was angefangen hat zu existieren, wurde nicht von etwas verursacht, das bereits existiert.
P3: Das Universum begann zu existieren.
P4: Unter Voraussetzung (2) und (3) wurde das Universum nicht durch irgendetwas verursacht zu existieren, das bereits existiert.
P5: Gott ist die Ursache des Universums.
C1: Angesichts von (4) und (5) existiert Gott nicht.

Bei der Frage wurde allerdings kein Kontext mitgeliefert. Als ich über diese Prämissen nachdachte, fiel mir auf, dass wir hier einen anderen ausgezeichneten Kandidaten für meinen bald erscheinenden Artikel haben: „Objections So Bad I Couldn’t Have Made Them Up (or, the World’s Ten Worst Objections to the Kalām Cosmological Argument)!” [Einwände, die so schlecht sind, dass ich sie nicht hätte erfinden können – oder: die 10 weltschlechtesten Einwände gegen das kalām-kosmologische Argument]![1] Denn wie ich in Frage der Woche #214[2] erklärt habe, geht das Argument nicht nur davon aus, dass es nicht-existierende Objekte gibt, sondern kommt zu dem Schluss, dass Gott ein solches Objekt ist und die Ursache dafür, dass das Universum in Existenz kam. (Dies könnte zu einer ganz neuen Version von Atheismus führen, eine, die der Auffassung ist, dass Gott nicht existiert und dass Anbetung und Gottesdienst diesem nicht-existierenden Wesen verschuldet sind!)

Da ich das Argument so lächerlich schlecht fand, meinte ich, dass es es nicht wert sei, als Frage der Woche diskutiert zu werden. Doch nachdem ich einige Zeit dafür investiert hatte, diesen Wirrwarr auseinander zu pflücken, entschied ich mich, voran zu gehen, und meine Reflexionen dazu als eine Anmerkung auf meiner Facebook-Seite zu posten. Aber als ich begann, mehr Fragen wie #214 von John zu erhalten, dachte ich, dass es sich vielleicht lohnen würde, die Mängel an dieser Argumentationslinie doch noch in einer Frage der Woche auszuführen. Mir scheint, dass sehr viele Menschen die Schöpfung missverstehen, als würde dabei ein vorher nicht-existierendes Objekt seine Eigenschaft der Nicht-Existenz gegen die Existenz eintauschen, und daher wäre Schöpfung nicht möglich.

Leider stellt sich nun heraus, dass laut TBS das Argument, das mir gesandt wurde, nicht als ernsthaftes Argument gedacht war, sondern so etwas wie einen Scherz darstellen sollte (zumindest in dem Punkt können wir übereinstimmen!). Obwohl TBS versucht, sein spöttisches Argument mit den einfachen Prämissen des kalām-kosmologischen Argumentes zu vergleichen, hinkt diese Analogie doch insgesamt. Die Prämissen des kalām-Argumentes sind kohärent und warten nur darauf, verteidigt zu werden. TBS’s Argument ist ein Durcheinander und erfordert für seine Verteidigung alle Arten von Rückziehern und Revisionen seiner Prämissen. TBS bietet nun sogar eine Neuformulierung seines Argumentes an, das aber leider die fälschlichen Annahmen des Originals beibehält.

Beispielsweise sagt er: “Wir haben niemals gesehen, dass etwas, das nicht existiert verursacht wurde, zu existieren zu beginnen. Dinge, die nicht existieren, können nicht verursacht werden, irgendetwas zu „tun“, da sie nicht „da“ sind, um durch eine Ursache beeinflusst zu werden.“ Seine erste Aussage ist offensichtlich falsch. Da Sie z.B. zu einer bestimmten Zeit in der Vergangenheit nicht existierten, würde aus dem Prinzip von TBS folgen, dass (i) Sie entweder ohne Ursache ins Dasein kamen oder (ii), dass Sie nicht existieren, was beides absurd ist. (Ja, ja, ich weiß, dass TBS sagt, dass die materiellen Konstituenten eines Dinges kausal miteinander interagieren; aber seiner Sicht nach stehen sie nicht in einer kausalen Beziehung mit dem Ding selbst, das darum unverursacht zu existieren beginnt). Der Beginn Ihrer Existenz muss verursacht worden sein (vielleicht genau durch die vorherige Interaktion Ihrer materiellen Bestandteile!). TBS’s Argument gegen diese Alternative ist lediglich eine Wiederholung desselben fehlerhaften Argumentes, das auf der Annahme basiert, etwas dazu verursachen, zu existieren zu beginnen, beinhalte, auf ein nicht-existentes Objekt einzuwirken.

Ich habe einmal mein Erstaunen darüber ausgedrückt, dass Leute wie TBS durch ein solch schlampiges Denken getäuscht werden können. Ich denke, ich kenne nun teilweise den Grund: Solche Leute ringen mit bedeutsamen und schwierigen philosophischen Fragen, aber ihnen fehlt das Handwerkzeug, dies gründlich zu tun. Ihnen fehlt die Ausbildung in Metaphysik und Logik, um ihre Ideen und Argumente angemessen zu formulieren. Anstatt Verständnisfragen zu stellen, maßen sie sich leider an, ihre Meinung darüber selbstbewusst und sogar selbstgefällig kundzutun.

Bin ich lieblos, wenn ich das so sage? Nein, durchaus nicht! Im Internet werden Meinungen nicht vor der Veröffentlichung von Experten begutachtet, und Inkompetente gibt es überall, die bereit sind, die Ahnungslosen zu beschwindeln. Sam Harris hat gewarnt, „je weniger kompetent eine Person in einem bestimmten Bereich ist, umso mehr wird sie dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Dies bringt häufig eine hässliche Verbindung von Selbstbewusstsein und Ignoranz hervor, die sich sehr schwer korrigieren lässt.“ Leider, so klagt er, „kann jeder, der einen Computer und zu viel Zeit hat, seine Ansichten veröffentlichen und findet oft genug auch eine Zuhörerschaft."[3]

Erlauben Sie mir darum, TBS beiseite zu lassen und auf den wirklich ernsten Punkt einzugehen, der hinter seinem Einwand liegt und mit dem er, wie ich glaube, Mühe hat, ihn auszudrücken.

Was er in Wirklichkeit zu behaupten scheint ist:

1. Alles, was zu existieren beginnt, hat eine materielle Ursache.

oder vielleicht:

1*. Jedes physikalische Ding, das zu existieren beginnt, hat eine materielle Ursache.

Dies ist eine wirklich substanzielle metaphysische Frage – in der Tat so wichtig, dass ich sie in beinahe jeder veröffentlichten Verteidigung des kalām-kosmologischen Argumentes, die ich je geschrieben habe, anspreche! Das ist richtig! In anderen Worten, was ich sage ist, wenn man zum Kern der Sache kommt, dann ist die wirklich ernste Frage, die durch TBS Einwand erhoben wird, eine, mit der ich mich immer und immer wieder auseinander gesetzt habe (z.B. im Blackwell Companion to Natural Theology, S. 189; oder in Reasonable Faith, S. 152; oder in Frage der Woche #215[4], etc.).

Warum sind also TBS und offenbar so viele unserer Leser sich dieser Tatsache nicht bewusst? Ich vermute der Grund ist, wie von mir schon früher beklagt, dass Menschen meine Arbeit hauptsächlich durch Videodebatten kennen, wo von den Gegnern selten substanzielle Einwände erhoben werden. Sie kennen nicht meine Veröffentlichungen, wo ich mich routinemäßig mit Fragen wie dieser auseinandersetze (einschließlich exakter Erklärungen von Redewendungen wie „beginnen zu existieren“). Wenn, wie TBS behauptet, ich es zu meinem Hobby gemacht habe, auf Internetatheisten zu antworten, dann habe ich es zu meiner beruflichen Laufbahn gemacht, auf substantielle Kritiken von Philosophen wie Quentin Smith, Adolf Grünbaum, Graham Oppy, J. Howard Sobel, Wes Morriston et. al. in wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit peer-review Verfahren zu antworten. Dort kann man eine substantielle Diskussion der Einwände gegen das kalām-kosmologische Argument finden, einschließlich des hier vorliegenden Einwandes.

In Kürze, die kausale Prämisse des kalām-kosmologischen Argumentes, nämlich

1´. Alles, das zu existieren beginnt, hat eine Ursache,

lässt die Frage offen, ob diese Ursache eine kausale Wirkursache (causa efficiens) oder eine Materialursache (causa materialis)[5] ist. Sie ist deshalb eine sehr viel bescheidenere Prämisse als (1) oder (1*).

Die Beweislast liegt also bei dem, der den Einwand erhebt, dass jeder Fall einer kausalen Verursachung eines (physikalischen) Objektes auch mit einem Fall von materialer Verursachung koinzident sein muss. Das lahme Argument von TBS gegen die Möglichkeit, nicht-existierende Objekte zu beeinflussen, war genau so ein Versuch.

Man beachte, dass ich drei Argumente für (1’) darbiete:

(i) Etwas kann nicht von Nichts kommen.

(ii) Wenn etwas aus dem Nichts ins Dasein kommen kann, dann ist es unerklärlich, warum dann nicht ständig alle möglichen Dinge aus dem Nichts ins Dasein kommen.

(iii) Die Alltagserfahrung und wissenschaftliche Belege bestätigen die Wahrheit der Prämisse 1’.

Nur das dritte ist ein induktives Argument aus der Erfahrung, das, wie man denken könnte, dem induktiven Beweis als Unterstützung von (1) oder (1*) ebenbürtig ist – obwohl die Erkenntnis der modernen Kosmologie, wie unten bemerkt, ein offensichtlich mächtiges Gegenbeispiel zu (1) und (1*) liefert. Der Punkt ist, dass die Hauptgründe für (1´) metaphysisch, nicht induktiv, sind, und vergleichbare metaphysische Gründe für (1) oder (1*) ihnen nicht ebenbürtig sind.

Sobald wir zur Schlussfolgerung des kalām-kosmologischen Argumentes gelangen, nämlich

3. Darum hat das Universum eine Ursache,

können wir nun die Natur dieser Ursache untersuchen. Kann es ein materielles Objekt sein? Sowohl die philosophischen Argumente als auch die wissenschaftlichen Bestätigungen der Prämisse 2;

2. Das Universum begann zu existieren

schließen von vornherein aus, dass die Ursache des Universums ein materielles Objekt ist. Denn wenn es keinen unendlichen Regress von Ereignissen geben kann, dann ist es physikalisch unmöglich, dass die Ursache des Universums ein materielles Objekt ist bzw. Objekte sind. Gleicherweise unterstützt die wissenschaftliche Erkenntnis die Schlussfolgerung, dass der Ursprung des Universums absolut war, in dem Sinne, dass alle Materie und Energie, selbst physikalischer Raum und Zeit, vor einer begrenzten Zeit ins Dasein kamen. Somit haben wir wirklich guten Grund, die Immaterialität der Ersten Ursache zu bestätigen. Der Ursprung des Universums erfordert dann eine Wirkursache von enormer Kraft, die physikalische Zeit, Raum, Materie und Energie erschuf. Es ist ein Beispiel für eine Wirkursache, die ohne Materialursache auskommt. Wenn man dies für metaphysisch unmöglich hält, dann muss man ein zwingendes, übergeordnetes Argument für diese Schlussfolgerung bieten. Bis jetzt bin ich einem solchen Argument noch nicht begegnet.

Ich meine, es ist nun klar, dass ich mich von Beginn meiner Arbeit mit dem kalām-kosmologischen Argument an mit dem eigentlichen Einwand auseinandergesetzt habe, der dem vor kurzem von TBS umständlich Ausdruck verliehenen zugrunde liegt. Ich bin somit etwas über den Ton vieler Fragen und Kommentare überrascht gewesen, die ich zu diesem Thema erhalten habe. (Der von Daniel war einer der netten!). Es scheint, es gibt da ein paar Menschen, die ich nie getroffen habe, die mich aber absolut nicht mögen und bereit sind, das Schlimmste über mich zu glauben. Als ein professioneller Philosoph wäre es für mich kaum angemessen, die Argumente meiner Gesprächspartner in falscher Weise wiederzugeben oder Strohmänner zu errichten, noch würde eine solche Arbeitsweise bei der Veröffentlichung in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, deren Artikel von Experten geprüft werden, akzeptiert. Das Problem ist, dass Internetatheisten häufig ihre eigenen Einwände oder Bedenken in falscher Weise wiedergeben. Ich kommentiere ihre Arbeit nur insofern ich von meinen Lesern darauf aufmerksam gemacht werde und ich sie für interessant oder instruktiv halte.

William Lane Craig

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/must-everything-that-begins-to-exist-have-a-material-cause

Anmerkungen

[1] Ein Vortrag und das Manuskript des Vortrages sind hier einsehbar: http://www.reasonablefaith.org/media/objections-so-bad-i-couldnt-have-made-them-up ; vgl. auch http://www.reasonablefaith.org/philosophical-concerns-with-the-kalam-cosmological-argument und http://www.reasonablefaith.org/much-more-ado-about-nothing (bislang nur in Englischer Sprache) (Anm. d. Übers.)

[2] Vgl. www.reasonablefaith.org/german/qa214

[3] Sam Harris, The Moral Landscape (New York: Free Press, 2010), S. 123.

[4] In Deutscher Sprache: http://www.reasonablefaith.org/german/qa215

[5] Aristoteles lehrte, dass jeder Gegenstand sich durch vier "Ursachen" erklären lasse: Materialursache (causa materialis), Formursache (causa formalis), Wirkursache (causa efficiens), Zweckursache (causa finalis). Bei einer Bronzestatue wären die vier Ursachen z.B.: Materialursache = Bronze, also das Material, aus dem die Statue besteht; Formursache = die Form der Statue; Wirkursache = der Bildhauer, der die Statue (kausal) hergestellt hat; Zweckursache = Für den Bildhauer: Mit dem Verkauf der Statue 850 Euro verdienen; für den Käufer: den Nachbarn imponieren, die man eigentlich sowieso nicht mag etc. (oder auch der schöne Anblick der Statue). Vgl. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Physik_(Aristoteles)#Ursache
(Anm. d. Übers.)

- William Lane Craig